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Golda Schultz singt Mozart espressivissimo
von Dagmar Penzlin
Wie die Sopranistin Mozarts Frauen-Figuren ins Heute holt
KLASSIK / Klassischer Gesang
Der erste Ton: ein langgezogenes „Non“/„Nein“ auf dem zweigestrichenen D. Widerstand, Aufruhr, Schmerz: alles scheint schon in diesem ersten Ton auf. Mit diesem Ton startet Golda Schultz ihre eindringliche Reise zu prägenden Frauenfiguren in den Opern von Wolfgang Amadeus Mozart, die er gemeinsam mit seinem Meisterlibrettisten Lorenzo da Ponte erschaffen hat: „Le Nozze di Figaro“, „Don Giovanni“, „Così fan tutte“. Und diese Reise macht Golda Schultz nicht allein, sondern sie schart ein großartiges Ensemble um sich. So gehören der erste Ton, die ersten acht, neun Takte ihr als Donna Elvira, dann setzen die anderen Stimmen des Quartetts Nr. 9 ein. Donna Elvira, die von Don Giovanni Betrogene und Verlassene, warnt Donna Anna. All die schlechten Erfahrungen mit ihm, aber zugleich auch all die rasende Liebe für ihn legt Golda Schultz in ihre Stimme.
Ein paar Tracks weiter erlebe ich das rasende Gedankenkarussel Elviras in der Arie „Mi tradì quell’alma ingrata“: Golda Schultz jagt im wilden Allegretto von Seufzer zu Seufzer, das Orchester antwortet fahl, klingt zunehmend präsenter als in den anderen Nummern – wie Kammermusik. Das Orchester, die farbenreich und wendig aufspielende Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Antonello Manacorda, stützt die Liebeskranke. Hier ereignet sich etwas, das das ganze herausragende Mozart-Album prägt: Die Menschen aus den Opern sprechen zu mir, noch mehr als sonst, die Grundenergie von Schultz‘ Interpretation ist direkter als gewohnt, existenzieller, radikaler.
Mozart existenzieller und radikaler als gewohnt
So ist das Duettino zwischen Gräfin und Susanna aus dem „Figaro“ weniger verspielt, sondern hier pocht intrigante Energie. Die Frauen wollen den Lauf der männlichen Routinen (insbesondere das „Recht der ersten Nacht“, das der Graf weiter erleben möchte) durchbrechen und ihre Liebesbeziehungen retten. Die Gräfin dringlicher, angegriffener als Susanna. Und so singt Golda Schultz auch die zweite Arie der Gräfin, als ginge es um Leben und Tod. Schneller im Tempo, getriebener im Ton. Oft gehörte Contenance: hier Fehlanzeige.
So könnte ich Track für Track Entdeckungen auflisten, Innovationen in der Interpretation von Mozart. Die Dramaturgie der CD erinnert mich im ersten Moment an einen Zufallsgenerator, weil Golda Schultz zwischen den Da-Ponte-Opern Mozarts hin und her springt. Im Fall von „Così fan tutte“ folgt beispielsweise auf Fiordiligis Arie aus dem ersten Akt gleich ihr Duett mit Ferrando aus dem zweiten Akt, Fiordiligis Rondo, in der Oper vor dem Duett platziert, folgt hier erst ein paar Tracks später. Doch es sind die energetischen wie musikalischen Verbindungslinien, die sich leicht entdecken lassen und die die Dramaturgie stützen. Im genannten Arie-Duett-Doppelpack folgt auf Fiordiligis in der Arie zur Schau getragene Standhaftigkeit (konterkariert durch große Ton-Sprünge und durch die entsprechende Sturm-Metapher aus der Barock-Oper als Zeichen emotionalen Wankens) das Duett an, in dem Fiordiligi und Ferrando sich ihre tiefe Liebe gestehen. Mit dem Tenor Amitai Pati hat Golda Schultz einen ebenbürtig ausdrucksstarken Partner an ihrer Seite: Wie sich Ferrando und Fiordiligi hier zu erkennen geben, berührt mich. Der weiche Tenor-Ton, in dem pures Liebessehnen schwingt, die Sopran-Seufzer, die alle Standhaftigkeit pulverisieren.
Energetische wie musikalische Verbindungslinien
Der überwältigende Gesamteindruck, getragen von Mozart-Gesang espressivissimo, lässt mich auch manche Krittel-Frage vergessen. Etwa: Warum rollt Golda Schultz als Susanna in der Rosenarie das R mehrfach so heftig?
Unbedingt noch zu erwähnen, sind die großen Ensembleszenen, die Teamplayerin Golda Schultz in ihre Mozart-CD eingefügt hat: das turbulente Sextett aus dem ersten „Così“-Akt und schließlich das „Figaro“-Finale. Hier ist es die Gräfin, die dem emotionalen Verwirrspiel allgemein und dem Liebesverrat des Grafen im Besonderen die Kraft des Verzeihens entgegensetzt. Musikalisch grandios inszeniert durch Stille als Zäsur, die in die Utopie eines besseren gesellschaftlichen Zusammenhalts mündet. Wohltuend gerade heute. Golda Schultz legt alle Wärme in ihren wunderbar timbrierten Sopran.
Was bleibt: der dringende Wunsch regelmäßig, diese Mozart-CD zu hören. Und die Hoffnung, dass Golda Schultz als kluge Künstlerin und Sängerin mit ganz eigenem Ton noch mehr solcher Konzept-Alben veröffentlicht.
Dagmar Penzlin
Angaben zur CD:
Titel: “Mozart, you drive me crazy!”
Mitwirkende: Golda Schultz (Sopran),
Julie Roset (Sopran), Amitai Pati (Tenor), Ashley Dixon Santelli (Mezzosopran), Milan Siljanov (Bass-Bariton), Simone Easthope (Sopran), Pawel Horodyski (Bass), Samuel Dale Johnson (Bariton)
Kammerakademie Potsdam, Antonello Manacorda
Label: Alpha Classics
Bestellnummer:11766410
Erscheinungstermin: 12. April 2024
Foto von Dagmar Penzlin zeigt CD-Cover: (c) Alpha Classics
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